Collins Nakedi stammt aus einer mittellosen Hirtenfamilie in East Pokot, Kenia. Seinen steinigen Weg zur Bildung hat er in einem Buch beschrieben. Heute ist er Mitgründer und Co-Direktor einer lokalen NGO in Kenia. Die moderne Entwicklungszusammenarbeit sieht er sehr kritisch und plädiert energisch für die vermehrte Nutzung lokaler Kapazitäten.
Welches sind Deine persönlichen Erfahrungen mit der Entwicklungszusammenarbeit?
Ich wurde in sie hineingeboren. Ich wuchs in einer marginalisierten Gemeinde in East Pokot in Kenia auf. Wir sind Hirten, East Pokot ist trocken und meine Geschwister und Eltern sind Analphabeten. Wir waren oft auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Eine 1-Dollar-Mahlzeit aus einem Lebensmittelprogramm reichte für mich und meine Geschwister für drei Tage. Arme afrikanische Gemeinschaften kümmert die Effizienz der Hilfe nicht. Selbst wenn viele Dollars mehr ausgegeben werden, um eine 1-Dollar-Mahlzeit zu produzieren, ist es ihre Angst - so wie es meine und die meiner 26 Geschwister war - dass die Regierung diesen einen Dollar in die eigene Tasche steckt. Später wurde ich Mitgründer einer einheimischen NGO, Hifadhi Africa (HAO). Die Organisation will Gemeinschaften helfen, die von Konflikten, Marginalisierung und Armut betroffen sind.
Wie beurteilst du die Entwicklungszusammenarbeit ganz allgemein?
Ich muss vorausschicken, dass meine Ansichten vielleicht hart formuliert erscheinen. Das Thema Entwicklungszusammenarbeit ist eine große Sache in Afrika und sorgt für heisse Diskussionen. Ich denke aber, es ist besser, wenn ich offen antworte.
Ich sehe die Entwicklungszusammenarbeit als ein Werkzeug, das externen Gebern und fortgeschrittenen Demokratien zur Verfügung steht, um ärmere Länder und autokratische Demokratien zu beeinflussen. Entwicklungshilfe ermöglicht es zum Beispiel, positive Veränderungen in Systemen zu erreichen, in denen die produktive Bevölkerung zur Bestechung gezwungen wird, wenn sie Dienstleistungen erhalten will. Ich spreche von den Orten, an denen die Bestechung gedeiht und wo Korruption belohnt wird, wo die Gesetze nicht gelten und harte Arbeit und Ehrlichkeit Selbstaufopferung bedeuten. Die Investition von Ressourcen und Fachwissen geben den Administratoren der Hilfsprogramme enormen Einfluss auf die Partnerländer, der zum Guten genutzt werden kann. Ebenso kann Entwicklungshilfe aber eine Macht sein, um zu manipulieren, zu diskriminieren, zu kolonialisieren und zu unterdrücken.
Die Entwicklungszusammenarbeit hat heute ihren Sinn verloren. Nur wenige Akteure haben sich meiner Meinung nach an deren ursprüngliches Konzept gehalten. Die Politik des Nationalismus, Extremismus und der Korruption hat ihre gute Absicht gekapert.
Was ist deiner Meinung nach denn gute Entwicklungszusammenarbeit?
Wenn ich die Verwaltung der Entwicklungszusammenarbeit kritisiere, möchte ich das Perfekte nicht zum Feind des Guten werden lassen. Bei guter Entwicklungszusammenarbeit spielen ausländische NGOs eine entscheidende Rolle beim Aufbau gesunder Gemeinschaften, indem sie zentrale Dienstleistungen wie etwa Beschäftigungsmöglichkeiten bereitstellen, die zur wirtschaftlichen Stabilität beitragen. Dies im Gegensatz zu Hilfe, die von Armut betroffene Gemeinschaften nur zur Förderung eigener institutioneller Interessen benutzt. Geberorganisationen sollten weiterhin Partnerschaften mit lokalen NGOs, CBOs (community based organisations) oder Selbsthilfegruppen fördern, welche die Zielgruppen der Entwicklungshilfe repräsentieren.
Was muss sich ändern, damit sich der Sektor weiterentwickelt?
Der Ansatz muss umgekehrt werden. Sinnvolle Entwicklung in Afrika soll weder von Regierungen noch von Geberorganisationen vorangetrieben werden, sondern von den Afrikanern selbst, wobei Regierungen und Geberorganisationen eine unterstützende Rolle spielen. Entwicklung wird am besten von jenen Akteuren angetrieben, deren Interesse es ist, die Kapazitäten, Strukturen und das indigene Wissen der Gemeinschaft zu mobilisieren und darauf aufzubauen.
Der neue Ansatz anerkennt die strategischen Vorteile, welche lokale NGOs und CBOs einbringen. Solche Ansätze fördern gemeindezentrierte Bemühungen um Empowerment, Transformation und Resilienz. Es braucht ein Afrika, das Kapazitäten aufbaut, um die Herausforderungen zu lösen, vor denen Afrika steht. Die Finanzierung lokaler NGOs mit starken Beziehungen zu den Gemeinden und intimer Kenntnis der lokalen Bedürfnisse baut Kapazitäten auf, schafft Möglichkeiten und katalysiert Wachstum. Ich denke, dass die Diskriminierung und Voreingenommenheit bei der Finanzierung lokaler gemeinnütziger Organisationen in Afrika die systemische Neokolonisierung aufrechterhält. 90% der Entwicklungshilfe in Afrika wird über ausländische NGOs abgewickelt, die sich in "lokale NGOs" verwandelt haben.
Wie versucht Hifadhi Africa die Lehren aus der Entwicklungszusammenarbeit umzusetzen?
Zentral ist der gemeindezentrierte Ansatz. Unsere Partnergemeinden in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung und Projektgestaltung zu stellen, ist entscheidend. Wir befürworten und implementieren stark lokalisierte Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung. Die Programme von HAO ermutigen und hängen von der Beteiligung der Gemeinden bei der Gestaltung, Umsetzung und Nachhaltigkeit der Projekte ab. Wir investieren Zeit und Ressourcen in den Aufbau von Kapazitäten, indem wir bestehende soziale Strukturen und Organisationsformen nutzen, um zur lokalen Eigenverantwortung beizutragen, die ein entscheidender Faktor für nachhaltige Entwicklung ist.
Dieser Ansatz verbessert HAOs Wissen über die lokale kulturelle, soziale und ökologische Dynamik, die sich als komplexer und tiefer erwiesen hat, als von bestehenden NGOs und Geberorganisationen angenommen. Der gemeindezentrierte Ansatz unterstützt auch die Bemühungen von HAO, die Beziehungen zwischen Regierung und Gemeinde zu verbessern und Verbindungen zu anderen Entwicklungspartnern herzustellen, um technische und beratende Unterstützung für die Gemeinden zu gewährleisten.
Collins Nakedi, Co-Direktor Hifadhi Africa
Collins Nakedi ist einer der Gründer von Hifadhi Africa, einer NGO mit Sitz in Nairobi, Kenia. Er ist der Autor der Bücher "Leap of Hope" und "Miseducation of Collins Nakedi". CO-OPERAID und Hifadhi haben ein gemeinsames Projekt zur Verbesserung der Grundbildung in Ost-Pokot lanciert ("Wanafunzi Wa Pokot").