Traurige Geschichten «gewöhnlicher» Kinder
Zuerst fielen mir die Kinder der Patak-Schule auf (von CO-OPERAID unterstützt). Die Schule ermöglicht rund 200 Kindern, die sonst nicht zur Schule gehen könnten, eine Grundausbildung. Schüchterne, aber strahlende Gesichter blickten mir entgegen und einige wollten schon bei meinem ersten Besuch umarmt werden. 25 Mädchen und 5 Buben wohnen auch im Zentrum. Auf den ersten Blick sind sie ganz gewöhnliche Kinder. Gespräche mit ihnen decken jedoch traurige Geschichten auf.
Saifon: «Ich heisse Saifon Laechergoo. Ich habe sechs Geschwister. Ich bin die Vierte. Meine Mutter arbeitet auf dem Feld. Sie baut Mais, Reis und Gemüse an. Sie muss die ganze Familie alleine ernähren. Wir verdienen 50 Dollar im Monat. Mein Vater war drogenabhängig. Während der ganzen Nacht kamen Leute um Drogen zu kaufen. Ich hatte Angst, dass mein Vater mich verkauft, wenn er nicht genug Geld für Drogen hat. Darum wurde ich ins Zentrum aufgenommen.»
Khai: «Ich heisse Surerat Gongsri; mein Spitzname ist Khai. Ich bin in der 8. Klasse. Mein Vater starb bei einem Autounfall. Meine Mutter war Prostituierte. Sie brachte viele Männer nach Hause. Ich hatte Angst an sie verkauft zu werden. Meine Mutter war aidskrank. Sie verkaufte auch Drogen und wurde deswegen verhaftet. Sie ist im Gefängnis gestorben. Ich war damals 8 Jahre alt. Seither hat unsere Familie kein Geld. Meine Schwester hat uns verlassen um zu arbeiten. Sie wurde Sängerin. In meinem Dorf wurde ich oft gehänselt. Sie sagten ich habe auch Aids. Meine Mutter wollte nicht so enden. Ich glaube nicht, dass es ihr Fehler war. Sie hatte keine andere Wahl. Meine Freunde hier haben die gleichen Probleme: Armut oder Eltern, die gestorben sind. Wir verstehen einander.»
Viel Arbeit und viel Motivation
Nach sechs Monaten verliessen zwei Mitarbeiterinnen, Amy und Julie, DEPDC und so war ich eine Zeit lang die einzige Internationale Freiwillige im Zentrum. Ich versuchte die vielen Aufgaben im Fundraising, der Administration und dem Unterricht so gut wie möglich wahrzunehmen und die Direktorin Alinda zu entlasten. Das war manchmal sehr hart. Die Gelassenheit der Thais hatte ich doch noch nicht. Wenn ich aber das Lächeln der Kinder sah, die ohne DEPDC vielleicht irgendwo in einem Bordell wären, gab mir das eine unglaubliche Motivation. Ich wusste immer, dass ich etwas Sinnvolles und Gutes tue und gebraucht werde. Ein Gefühl, dass ich so bisher nicht kannte.
Noch mehr Motivation bekam ich, als Sompop Jantraka, der Gründer des Zentrums, mir das Dorf ehemaliger DEPDC-Mädchen zeigte. Eine junge Frau ist jetzt Bäuerin und lebt ganz einfach zusammen mit ihrem Kind. Eine andere wurde Bürgermeisterin und sorgt dafür, dass alle Kinder ihres Dorfes zur Schule gehen können.
Eine Arbeit, die Früchte trägt
Die Arbeit von DEPDC und CO-OPERAID trägt also Früchte. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Leuten bedanken, die diese Arbeit ermöglichen.
Als ich das Zentrum nach zehn Monaten verliess, um in die Schweiz zurückzukehren, wusste ich, dass meine Arbeit in Mae Sai noch nicht beendet ist. Neben meiner Tätigkeit als Freiwillige bei DEPDC hatte ich ein Projekt für Kinder mit Aids angefangen. Ich wusste, dass meine Hilfe noch gebraucht wird, und dass meine persönlichen Erfahrungen und die Entwicklung, die ich durch die Arbeit bei DEPDC und durch das Leben im Norden Thailands machen durfte, noch nicht abgeschlossen sind.
So stehe ich kurz vor meinem Flug zurück nach Thailand, mit etwas besseren Sprachkenntnissen und mit einer Ahnung, was mich erwarten wird, doch mit dem gleichen mulmigen Gefühl im Bauch…»
Graziella Ramponi, im Dezember 2008