Hla May U bin ich zum ersten Mal im Jahr 2010 begegnet. Sie war eines der ersten Mädchen im neu eröffneten Wohnheim für Kinder aus ethnischen Minderheiten in Bandarban. Bei jedem meiner jährlichen Besuche haben wir jeweils ein paar Worte gewechselt. Sie blieb immer scheu, und war wohl auch nervös wegen ihrer geringen Englisch-Kenntnisse. Zu den wenigen Worten hat sie mir aber das grosse Geschenk ihres strahlenden Lächelns gemacht.
Während des aktuellen Besuchs aber bleibt dieses Lächeln auf halbem Weg stehen. Was ist passiert? Weil der Grundwasser-Spiegel gesunken ist, schlägt die Wasserpumpe im Mädchenwohnheim heimtückisch aus. Drei kleinere Unfälle sind schon passiert. Einer davon hat Hla May U einen Schneidezahn gekostet. Sie schämt sich, wie früher zu Lachen und dabei die Lücke zu entblössen.
Das Pumpenübel muss bekämpft werden - was mit ca. CHF 3‘000 für ein tieferes Bohrloch verbunden ist, in Bangladesch eine stolze Summe. In der Diskussion mit der Partnerorganisation ist der Fall damit abgeschlossen. Ich aber merke, dass ich nicht ganz zufrieden bin. Zwei Tage später wird mir klar: Die Welt kann nicht auf Hla May U‘s Lächeln verzichten! Ein Zahnarzt soll beweisen, was seine Zunft leisten kann.
Was bedeutet schon ein Zahn angesichts der vielen dringenden Bedürfnisse, auf die wir während des Besuchs treffen? Trotzdem fühlt es sich richtig an, CHF 100-300 für diesen Zahn zu reservieren… Denn das Mädchen muss auch richtig zubeissen können! Hla May U ist die erste Stipendiatin aus Bangladesch innerhalb unseres Talents-Projekts. Frauen haben in Bangladesch einen sehr schweren Stand in der Gesellschaft. Beim Treffen im Büro des Projektpartners, an dem fast nur Männer teilnehmen, sitzt Hla May U zuhinterst und antwortet nur leise und kurz, wenn sie ausdrücklich gefragt wird. Unter den Mädchen des Wohnheims aber zeigt sie ihre Power und spricht engagiert über Selbstbestimmung und Frauenrechte. Ihr Berufsziel ist es übrigens, in den Polizeidienst einzutreten. Nicht das schlechteste Ziel in einer Region, in der besonders die Mädchen und Frauen der Minderheiten Freiwild für Militär und Polizei sind, die kaum je für ihre Taten bestraft werden.
Marcel Auf der Maur, CO-Geschäftsführer