Laut Statistiken ist Kambodscha bezüglich Korruption weltweit auf einem der den obersten Plätze. Letzte Woche habe ich Carmen getroffen, die im Namen der Bundesrepublik Deutschland seit mehreren Jahren bei der Stadtverwaltung in Battambang arbeitet. Wir haben uns lange über das Thema Korruption in diesem Land unterhalten und Carmen konnte mir viele spannende Dinge erzählen.
Tatsächlich basiert letztendlich der ganze Staat auf dem System der Korruption. Aus Sicht der Regierung (allen voran des Ministerpräsidenten Hun Sen) ist dies wohl die einfachste Art, sich möglichst wenig um das eigene Land kümmern zu müssen, denn jeder kümmert sich um sich selbst. Für die Bevölkerung jedoch führt das zwangsläufig zu einer unangenehmen Situation voller Unsicherheit und Misstrauen.Die Grundlage für das korrupte Verhalten sind die viel zu tiefen Löhne. Während aufgrund der kürzlichen Streiks für Lohnerhöhungen in Phnom Penh berechnet wurde, dass eine durchschnittliche kambodschanische Familie (ca. 3-4 Kinder) monatliche Ausgaben von mindestens 280 Dollar hat, betragen die meisten staatlichen Vollzeit-Löhne zwischen 40 - 80 Dollar. Da ist es mehr als verständlich, dass sich die Leute ihr Geld sonst irgendwie beschaffen müssen. Laut Carmen verdient sogar der Bürgermeister von Battambang monatlich gerade einmal 160 Dollar.
Die Korruption lässt sich am Beispiel der Ärzte zeigen, die ihren Patienten jeweils alle möglichen Medikamente verschreiben und zusätzliche Behandlungen durchführen, nur um die Kosten und somit ihren Lohn zu erhöhen. Dies führt dazu, dass sich Soka (die Leiterin des Youth Centers) strikt weigerte, mit ihrer Tochter zum Arzt zu gehen, als diese krank war. Schliesslich kannte sie keinen Arzt, dem sie vertrauen konnte und der ihr wirklich nur anrechnete, was die Tochter auch tatsächlich brauchte. Sokpheap, ein Touristenführer, den ich kürzlich kennengelernt habe, hat mir dringendst davon abgeraten, bei einem Unfall an die Stelle hinzugehen und den verletzten Kambodschaner allenfalls sogar in ein Krankenhaus zu begleiten. Er selber habe schon Fälle erlebt, bei denen der Verletzte nach seinem Erwachen skrupellos auf den Begleiter gezeigt habe und steif und fest behauptete, dieser habe den Unfall gebaut. Schliesslich fürchtete sich der Verletzte vor einer riesigen Arztrechnung, die er wohl nie bezahlen könnte. Das Verhalten ist vielleicht asozial, aber doch auch verständlich in einem Land ohne jegliche Versicherungen und Sicherheit, in einem Land in dem jeder völlig auf sich alleine gestellt ist.
Auch bei den LehrerInnen lässt sich das korrupte Verhalten aufzeigen. In den öffentlichen Schulen haben es sich viele Lehrpersonen angeeignet, dass sie den Stoff im Unterricht zwar erklären, dies allerdings so schlecht, dass zwangsläufig jedes Kind Privatstunden (beim Lehrer!) nehmen muss, um in den Prüfungen gut abzuschneiden. So besucht auch die Schwester von meinem Freund Ny täglich nach der Schule noch den "Nachhilfeunterricht", wobei eine Stunde ganze 25 Cent kostet! Falls ein Kind auch ohne Privatstunden gut abschneiden sollte, kann es gut einmal vorkommen, dass der Lehrer einfach die Note herabsetzt - spätestens dann braucht das Kind wohl auch "Nachhilfeunterricht". Auch hier kann man wiederum sagen, der Lehrer sei asozial, allerdings geht es auch diesem letztendlich nur um einen anständigen Monatslohn und er wird selber auch nicht verschont, wenn er beim Vater seines Schülers zum Arzt geht und eine viel zu lange Rechnung bekommt - so dreht sich der Kreis.
Carmen hat mir die Situation noch an vielen weiteren Beispielen aufgezeigt, die ich aber gar nicht mehr erwähnen möchte. Jedenfalls ist die Korruption wohl der Grund, weshalb alle Familien ihre Kinder gerne in Beamten-Positionen sehen. Auf den ersten Blick scheint dies unverständlich, da diese Berufe unglaublich schlecht bezahlt sind - doch es ist die einzige Art, sich etwas Rechtssicherheit zu verschaffen. Aufgrund der riesigen jährlichen Steuerausfälle hat der Staat inzwischen auch gar nicht mehr das Geld, um anständige Löhne zu zahlen. Und da jeder selbst in der Korruption drinsteckt, kann er sich also auch nur schlecht gegen den Arzt oder den Lehrer wehren - es ist ein einziger Teufelskreis.
Jedenfalls zeigt das Beispiel schön auf, wie wichtig Sicherheit und Vertrauen gegenüber den Mitmenschen und gegenüber der Regierung in einem gut funktionierenden Staatssystem sind und gleichzeitig wohl auch, wie weit Kambodscha in vielerlei Hinsicht noch davon entfernt ist. Und doch soll auch betont werden, dass - so widersprüchlich dies auch scheinen mag - doch auch ein grosser Zusammenhalt zwischen den Menschen besteht. Schliesslich sitzen alle im gleichen Boot und jeder weiss, dass es trotz der eigenen schwierigen Situation dem anderen auch nicht besser geht.
Anna Bugmann, Freiwillige im Hilfsprojekt in Kambodscha