Juni 2023, zu Besuch an der Primarschule von Dira in East Pokot, Baringo County, in Kenia. Schulleiter Raphael Kandagor hat hier ganz allein angefangen. «Im Jahr 2012 gab es nicht einmal ein Schulgebäude. Nur neun Schulkinder sind zu Beginn des Schuljahres erschienen. Ich habe sie unter einem Baum unterrichtet. Ich bin mir vorgekommen wie ein Missionar». Mit dem ersten Schultag musste er, ein Angehöriger der Tugen, mit dem Erlernen der Pokot-Sprache beginnen, damit er mit den Kindern und den Eltern überhaupt sprechen konnte. «Heute gehört Dira zu den erfolgreichsten Schulen im Baringo-County», erklärt Raphael stolz. «Im Jahr 2019 haben die ersten SchülerInnen unserer Schule ein Primarschulzeugnis erlangt. 2023 hat sich der erste Schüler aus Dira an einer Universität in Kenia eingeschrieben».
Die Schule umfasst heute zwei Schul- und mehrere Nebengebäude und wird von 265 Kindern besucht, unter ihnen 132 Mädchen. Trotz der grossen Fortschritte verbleiben auch grosse Probleme. Einige Gebäude sind aus Wellblech und werden in der Hitze von East Pokot zum Glutofen. Die Schlafsäle sind in einem schlechten Zustand - sie behergen unter anderem 25 Mädchen, die von ihren Familien weglaufen mussten, damit sie nicht beschnitten und verheiratet werden.
Eine gefährliche Grenze
Fluch und Segen ist die Lage der Schule am Fluss Kerio. Anders als viele andere Schulen in East Pokot hat Dira dadurch genügend Wasser. Dies erlaubt unter anderem den Unterhalt eines grossen Schulgartens, der eine Schulmahlzeit pro Tag sicherstellt. Der Fluss ist aber auch die Grenze zu Marakwet, bewohnt von der gleichnamigen Ethnie. Die jahrhundertealte Rivalität mit den Pokot hat sich in letzter Zeit, da die Ressourcen knapper werden (Stichworte Klimawandel und Bevölkerungszunahme), zugespitzt. Immer wieder machen bewaffnete Gruppen die Gegend unsicher, welche auch die Schule von Dira bedrohen. Vor rund einem Jahr wurde ein Schuljunge angeschossen, als er am Kerio Wasser holen wollte. Wiederholt mussten sich Raphael und sein 10-köpfiges Lehrerteam mit den Kindern im solidesten der Schulgebäude einschliessen und in Angst und Schrecken der Dinge harren, die da kommen mögen. Das Einschussloch an der Tür zeigt, dass aus der Einschüchterung sehr schnell bitterer Ernst werden kann.
Entwicklung der Bildung und des Friedens
Während des CO-OPERAID-Projektbesuchs im Juni 2023 versammeln sich viele Eltern an der Dira-Schule, um die Situation zu besprechen. Etwa die Hälfte der Gemeinde steht engagiert hinter der Schule, während der Rest gleichgültig bleibt. Der engagierte Teil hat alle Kinder der Familie an der Schule eingeschrieben, unterstützt auch die Mädchen, die verheiratet werden sollen, und will die Friedensförderung vorantreiben. Ein erster Versuch mit einer gemischten Schulpopulation aus Kindern der Pokot und der Marakwet ist leider gescheitert. Die Gemeinde will aber einen neuen Versuch wagen und zusammen mit ihren Helden an diesem Grenzposten der Bildung, mit Raphael Kandagor und seinem Schulteam, zur Entwicklung der Gemeinde durch Bildung und Sicherung des friedlichen Zusammenlebens beitragen.