Januar 2021: die Präsidentschaftswahlen in Uganda sind vorbei. Amtsinhaber Yoweri Museveni hat Oppositionelle verhaften und töten lassen und die Wahl zur Farce gemacht. Einst hatte er Diktator Idi Amin bekämpft. Heute muss er endgültig selber als Diktator bezeichnet werden. Kleine Randnotiz: für einige Monate im Jahr 1979, noch vor Museveni, war Yusufu Lule, der Vater der ehemaligen CO-OPERAID Präsidentin Liliane Waldner, Präsident von Uganda. Wäre er es doch geblieben!
CO-OPERAID ist seit Anfang 90er Jahre in Uganda aktiv. In keinem anderen Land wurden so viele und umfangreiche Projekte durchgeführt (2019: Projektumfang von CHF 370'000). Viele Jahre haben wir uns für aidsbetroffene Familien und Kinder engagiert. Weitere Projekte galten und gelten dem Aufbau von besseren Bildungschancen, vor allem für die arme Landbevölkerung. War das am Ende gut gemeint, aber schlecht gemacht? Hat unsere Hilfe dazu beigetragen, dass sich die Museveni-Diktatur bequem breit machen konnte?
"Und Europa schaut weg"
„Wie viel am Wahltag gefälscht wurde, ist dabei gar nicht so erheblich. Seit Jahren terrorisiert das Regime den jungen Oppositionsführer Bobi Wine, verhaftet und foltert ihn und erschiesst seine Anhänger. Europa hat bisher mit überschaubarer Kritik auf die Repression reagiert, die allen europäischen Werten widerspricht, und weiter viele Hundert Millionen Euro Entwicklungshilfe überwiesen. Natürlich fliessen keine europäischen Gelder direkt in den Unterdrückungsapparat, sie fliessen aber in Strassen, Schulen und Krankenhäuser, in Bereiche, die der Regierung nicht so wichtig sind. Museveni steckt das Geld lieber in Polizei und Militär, die ihn beim Machterhalt unterstützen. Europa hilft mit, die Lücke zu füllen, die durch die riesigen Sicherheitsbudgets entsteht, es übernimmt Aufgaben, die eigentlich der ugandische Staat leisten sollte.“
Auszug aus einem Artikel von Bernd Dörries, erschienen im Tages Anzeiger am 18.01.2021
Stimmen solche Vorwürfe? Was meint ihr dazu?
Ich finde das Engagement von CO-OPERAID in Uganda war richtig. Über allem steht die Armutsbekämpfung. Unsere Projekte haben einer sehr armen Bevölkerung geholfen und tun es weiterhin. Die politische Entwicklung war lange nicht absehbar - man konnte auch Hoffnung in Uganda und Museveni setzen. Müssen wir heute, da sie uns deutlich vor Augen steht, Konsequenzen ziehen?
Die einfachen Menschen, denen unsere Hilfe zugute kommt, wären unmittelbar betroffen. Würde sich die ganze Entwicklungshilfe absprechen und sich zurück ziehen (ein rein theoretisches Szenario), wäre der Wegfall von Leistungen dramatisch. Dass die Museveni-Regierung in der Folge unter Druck käme und in die soziale Entwicklung investieren müsste, glaube ich nicht. Eine arme und ungebildete Bevölkerung ist solchen Regimes, die auch skrupellos Gewalt anwenden, gerade recht. Wenn Druck auf den Diktator ausgeübt werden kann, dann wohl am ehesten durch Sanktionen der internationalen Gemeinschaft. Wenn Musevenis Vermögen in Gefahr gerät, würde ihn das allenfalls zu Kompromissen zwingen.
Die junge Bevölkerung in Uganda will eine Veränderung und Weiterentwicklung. Das hat auch mit einem besseren Bildungsstand zu tun, für den wir und andere NGOs uns einsetzen. Die Uhr tickt, und die Zeit wird Museveni überrollen.
Natürlich bleibt der Widerspruch und das ohnmächtige Gefühl, dass die ausländische Hilfe einem Diktator gerade recht zum Erhalt seiner Macht ist. Gleichzeitig ist die Entwicklungshilfe gerade in Ländern mit schwachen Strukturen notwendig, in denen auch die Politik schwach und unberechenbar ist. Welches sind die Länder, die unterentwickelt sind, aber gleichzeitig "europäische Werte" respektieren?
Marcel Auf der Maur, Co-Geschäftsleiter
Müssen Länder unsere Hilfe verdienen?
Wir können unsere Augen nicht vor der sehr realen Verbindung zwischen Entwicklungshilfe und Politik verschließen. Verdienen die Länder, die am Ende der Kolonialzeit nicht in erster Linie Bildung als Pfeiler ihrer Entwicklung und ihrer Zukunft gewählt haben, internationale Hilfe? Leider sind es die Bedürftigsten, die am meisten leiden würden, wenn die Organisationen nicht vor Ort wären.
Die Hauptfrage für mich ist: Entwicklungshilfe als gutes Werk oder als Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln? Wo ist die Grenze: Einmischung, Ethik, Emanzipation, Hilfestellung…? Wie kann sich die Entwicklungszusammenarbeit anpassen, um durch andere Methoden, neue Kontakte, effektiv zu wirken?
Ist es für Cooperaid denkbar und sinnvoll, die Karten neu zu mischen? Und wenn ja, wie? Eine Richtung wäre: Nothilfe nach einem Krieg, einer Hungersnot, einer Naturkatastrophe, einer Epidemie usw. leisten und sich zurückziehen, sobald die Not vorbei ist. Natürlich immer noch mit einem Schwerpunkt auf Bildung und Kinderhilfe. Ich habe nicht alle Antworten auf meine eigenen Fragen, aber vielleicht müssen wir als Gruppe über diese ethischen Fragen nachdenken.
Laurence Treceno, Vize-Präsidentin
Das politische System ist nicht ausschlaggebend
Selbst bei sehr grossen Playern wie USAID oder auf nationaler Ebene der DEZA stellt sich die Frage, ob die eingesetzten Mittel in einem Land gross genug sind, um das politische System zu beeinflussen. Und das sagt noch nichts über die normative Dimension aus, ob dies wünschenswert wäre. Die Hilfsgelder machen gerade einmal einen Zehntel des Finanzstroms aus, welcher in die Entwicklungsländer fliesst, während ohnehin für jeden Dollar, der ankommt, zwei Dollar abfliessen. Der kleine Anteil der Hilfsgelder, und der minimale Anteil der CO-OPERAID Gelder am Finanzfluss bedeutet für mich aber nicht etwa, dass unsere Arbeit nichts bringt. Es zeigt mir aber, dass wir auf der Ebene der begünstigten Individuen wirken und auf das grosse Ganze – wie das politische System eines Landes – wenig Einfluss haben.
Deshalb schliesse ich mich diesem Standpunkt an: das politische System sollte grundsätzlich nicht das ausschlaggebende Kriterium sein, ob wir in einem Land tätig sind. Dabei würde ich hinzufügen, dass ein geordnetes Arbeiten (bspw. Sicherstellen, dass die Mittel bei den Begünstigten ankommen) möglich sein muss. Von anderen Organisationen habe ich dazu zum Beispiel Berichte aus Syrien gehört. Die Gewalt, die Verfolgung, das ungeheure Mass an Korruption und weitere Punkte stellten für viele EZA-Organisationen unüberwindbare Herausforderungen, weshalb sie die Arbeit im Land eingestellt haben. Das kann theoretisch auch in unseren Projektländern passieren. Dass wir gemeinsam über solche Themen reflektieren finde ich sehr positiv. Das ist wohl die beste Methode, um zu gewährleisten, dass wir nicht plötzlich einem unliebsamen Regime zuarbeiten.
Rashid Abed, institutionelles Fundraising
Projekte für die missachtete Bevölkerung
Auf Sicht der bilateralen oder multilateralen Zusammenarbeit, auf der Ebene des Gesamtstaates, ist die Entwicklungskooperation mit autokratischen und/oder (meistens leider und) hoch korrupten Regierungen oft kaum möglich (humanitäre Hilfe sei hier vorerst einmal ausgeschlossen). Aber dürfen wir als kleine NGO (Bildungs-)Projekte in Ländern unterstützen, in denen die Regierung elementare Rechte der Bevölkerung grob missachtet und in denen sich eine kleine Elite massiv bereichert? Lohnt sich diese Unterstützung und macht sie Sinn für die Bevölkerung eines Landes oder einer Region, zum Beispiel in Zombo, Uganda?
Ich meine weiterhin Ja. Diese Unterstützung macht gerade dann Sinn, wenn Projekte der vernachlässigten und missachteten Bevölkerung nützen. Hinzu kommt: es ist ja nicht auszuschliessen, dass ein verbesserter Bildungsstand neben der ökonomischen Besserstellung in der Zukunft auch zu einer verbesserten politischen Situation führen kann.
Dr. Ignaz Rieser, Präsident CO-OPERAID
(siehe auch Artikel von Ignaz Rieser)
Gemeinsame Massnahmen sind nicht abzusehen
Es mag kritisiert werden, dass in einem Land wie Uganda noch Hilfe geleistet wird. Der Präsident bleibt ewig an der Macht, Wahlen werden manipuliert, die Opposition geknebelt. Einige Wenige werden auf Kosten Vieler reich. Der Staat spart sich die Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Sozialversicherung und Infrastruktur für den militärischen und polizeilichen Unterdrückungsapparat sowie die Auspolsterung einer schmalen Entourage um die Präsidentenfamilie. Die Eliten kennen keine Verantwortung und bleiben dank den sogenannten Entwicklungshilfegeldern an der Macht.
Gewiss ist, dass keine staatlichen Gelder an solche Regierungen mehr fliessen dürfen, weil sie beim Volk nicht ankommen, sondern versickern. Ein Schuldenerlass bringt nichts, weil sich die Regierenden nochmals aus der Verantwortung stehlen könnten. Es ist auch nicht abzusehen, dass sich die westlichen, demokratischen Länder auf einen gemeinsamen Stopp der Entwicklungszusammenarbeit einigen könnten, um despotische Regimes aus den Angeln zu heben und Menschenrechte universal durchzusetzen. Dies sogar in dem Falle, in dem China und die reichen Golfstaaten die Lücke nur mangelhaft ausfüllen könnten! Auch werden die Gelder von noch regierenden Despoten sowie deren korrupter Entourage, die auf westlichen Bankkonten liegen, kaum eingezogen, um daraus die Flüchtlingsströme und die Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren. Dazu müssten sich alle relevanten Finanzplätze der Welt einig sein. Es wäre aber vermutlich am wirksamsten und für die verantwortungslosen Kreise am schmerzhaftesten, wenn die Korruptionsgelder konsequent eingezogen und zum Beispiel in eine gemeinsame Körperschaft gelegt würden, um die Armut zu bekämpfen. Diese Körperschaft müsste von den Staaten gebildet und kontrolliert werden, die bezüglich Demokratie und Menschenrechte einen guten Mindeststandard garantieren.
Bis zu solchen Lösungen ist es ein sehr weiter Weg! Eine kleine Organisation wie CO-OPERAID kann weiterhin Hilfe leisten und einigen Menschen dank Bildung zur Selbstbestimmung verhelfen. In diesem Sinne wünsche ich CO-OPERAID weiterhin erfolgreiches, nachhaltiges Gedeihen der Projekte!
Liliane Waldner, Präsidentin CO-OPERAID von 1999-2012
(siehe auch Artikel von Liliane Waldner)