2015 startete CO-OPERAID das Stipendienprogramm «Talents». Das Ziel: talentierten Jugendlichen aus armen Familien den Wunsch vom Studium erfüllen – und damit ihr Leben verändern. Als eines der ersten Talente studierte Mong Sing Swe in Bangladesch Medizin.
April 1996 in der Kleinstadt Thanchi, im Südosten Bangladeschs, eine der am wenigsten entwickelten Regionen des Landes. Der kleine Mong Sing Swe erblickt das Licht der Welt. Sein Vater war zunächst Kleinbauer und eröffnete danach einen kleinen Laden, die Mutter ist Hausfrau. Zusammen mit den Eltern und seinem älteren Bruder wächst der Junge in bescheidenen Verhältnissen auf.
Die Familie gehört dem Volk der Marma an. Diese buddhistische Minderheit bildet mit weiteren kleinen Volksgruppen die Urbevölkerung der Chittagong Hill Tracts. Selbst nennen sie sich «Jumma», was «erste Menschen» bedeutet. Sie unterscheiden sich in Sprache, Religion und Ethnie von der Mehrheitsbevölkerung der ethnischen Bengalen. In dem dicht bevölkerten Land mit rund 165 Millionen Einwohner, machen die Bergvölker mit rund einer Million Mitgliedern eine verschwindend kleine Minderheit aus.
Seit der Gründung Bangladeschs im Jahr 1971, als sich das ehemalige Ostpakistan nach einem kurzen, aber äusserst blutigen Krieg vom heutigen Pakistan löste, wurden die Minderheiten im Südosten unterdrückt. Die Regierung versuchte die kulturelle Assimilation durch die Ansiedlung von ethnischen Bengalen auf dem bewaldeten, hügeligen Land voran zu treiben. Kinder wie Mong Sing Swe wurden auch in Bildungsfragen schlechter gestellt. Die Bildungsbehörden machten sich nicht die Mühe Schulbücher in die lokalen Sprachen zu übersetzen. Eine Lehrperson zu haben, welche Marma spricht, ist eher Ausnahme als Regel.
Bildungskarriere trotz ungleicher Startchancen
Mit dieser herausfordernden Ausgangslage beginnt der junge Mong Sing Swe seine Schulkarriere. Von Beginn an fällt er durch hervorragende Leistungen und eine schnelle Auffassungsgabe auf. Die 5-jährige Primarschule und die zweigeteilte Sekundarschule beendet er jeweils mit der Bestnote.
Bereits in der 8. Klasse weiss er, dass er Medizin studieren will. Seine Eltern können ihm den kostspieligen Wunsch nicht ermöglichen. Er erfährt von «Talents» und bewirbt sich bei Humanitarian Foundation, dem lokalen Partner von CO-OPERAID. Mit seinem Hintergrund und seinen ausgezeichneten Leistungen ist er ein perfekter Kandidat. Mit Fleiss, harter Arbeit und etwas Unterstützung aus der Schweiz erfüllte er sich seinen Wunsch und wird Arzt.
Nach dem Abschluss der Theorieprüfung im Frühjahr 2020 tritt er in das obligatorische Praktikumsjahr ein. Zeitgleich rollt die Covid19-Pandemie um den Erdball und erfasst auch Bangladesch. Viele seiner Kommilitonen im Praktikum fürchten sich vor dem unbekannten Virus und setzen ihre Praktika aus. Er stellt sich dem Risiko, fährt während den Lockdowns in seine Heimatregion, zieht durch die umliegenden Dörfer und klärt die Bewohner über die neuartige Gefahr auf. Auch das Praktikum meistert er schliesslich erfolgreich.
Mong Sing Swe rief man ihn früher, heute nennt man ihn Doktor
Viele Absolventen ziehen nach einem erfolgreichen Studienabschluss aus ihren Dörfern in die urbanen Zentren. Dort warten attraktive Jobs und junge Menschen können sich viel mehr entfalten. In ihren Heimatorten entwickelt sich so nur zögerlich eine gebildete Schicht. Mong Sing Swe erinnert sich an seine Kindheit, als Ärzte, die von der Regierung in die Region entsandt wurden, immer schnellstmöglich wieder weg wollten. Thanchi bietet nur wenige Annehmlichkeiten und ist für Akademiker, die sich ein städtisches Umfeld gewohnt sind, nicht attraktiv.
Mong Sing Swe wollte seit seiner Kindheit die medizinische Versorgung für seine Leute verbessern. Als nächsten Karriereschritt möchte er sich zum Kardiologen weiterbilden, da Herz-Erkrankungen die häufigste Todesursache in seiner Region sind. Momentan gibt es nur einen Spezialisten, der einmal die Woche für eine Visite in die Region pendelt. Deshalb sieht Mong Sing Swe hier die Chance seiner Heimat den grössten Dienst zu erweisen.
Seine Familie hat durch die erfolgreiche Bildungskarriere des Sohnes einen beeindruckenden sozialen Aufstieg erlebt. Zuvor gehörten sie den untersten sozialen Schichten an und hatten bei Versammlungen keine Redezeit oder wurden gar nicht erst eingeladen. Nun sind sie als die Eltern des Doktors bekannt. Urplötzlich werden sie zu allen möglichen Belangen konsultiert und um Rat gefragt. Die Mutter leitet unterdessen sogar eine Frauengruppe von Kleinsparerinnen.
Den herausragendsten sozialen Aufstieg durchläuft aber der Medizin-Absolvent selbst. Mong Sing Swe riefen ihn die Dorfbewohner früher. Heute wird er von allen respektvoll Doktor genannt. Er bleibt derweil bescheiden: „Für mich ist das keine grosse Sache. Wichtig ist mir, dass ich nun Patienten behandeln oder ihnen etwas verschreiben kann, was vor dem Abschluss unmöglich war.“
Wir bedanken uns herzlich bei allen Spenderinnen und Spendern für die Unterstützung des Talents-Programm zur Förderung von sozial benachteiligten Jugendlichen in Bangladesch, Kambodscha und Laos. Durch Ihre Hilfe werden Erfolgsgeschichten wie die von Dr. Mong Sing Swe Marma Wirklichkeit.
Rashid Abed, Fundraising-Manager und Projektleiter von Talents
abed(at)co-operaid.ch